Den Brustkorb beweglicher machen
Den Brustkorb mit einem cleveren Bewegungsablauf beweglicher machen – anstelle des sonst so üblichen Dehnens oder „Hineinatmens”.
1976 fand in San Francisco die erste große Feldenkrais-Berufsausbildung statt. Abends hat Dr. Moshé Feldenkrais nicht Feierabend gemacht, sondern noch weiter unterrichtet: und zwar hat er Klassen für interessierte Laien gegeben, die mehr über Feldenkrais wissen wollten, aber nicht an der Ausbildung angemeldet waren.
Dabei sind einige wunderschöne, überzeugend wirksame und klar strukturierte Lektionen entstanden. Eine dieser Lektionen ist zu einer meiner Lieblingslektionen geworden, zu der ich immer und immer wieder zurückkomme, und immer wieder Neues entdecke. Ich möchte diese Lektion hier vorstellen.
Es geht in dieser Lektion zum Einen um die Hüftgelenke, und um den Psoas-Muskel, und um die Oberschenkelmuskulatur. Um Beweglichkeit, Leichtigkeit, Einfühlsamkeit, Geschmeidigkeit und fließende Bewegungen. Zum anderen eignet sich diese Lektion ganz hervorragend dazu den Brustkorb beweglicher zu machen. Mit den Tricks, die in dieser Lektion vorgestellt werden, kommt man nämlich ganz gut an den oberen Teil des Brustkorbs ran, sogar bis ganz hinauf zu den Rippen bei den Achselhöhlen. Dies ist der Teil, der von vielen Menschen in unserer Gesellschaft kaum bis garnicht bewegt wird (vielleicht vom vielen Sitzen? Oder der Kälte im Winter?). Das allein ist schon phänomenal. Weiters werden die entsprechenden Muskeln zwischen den Rippen aber nicht gedehnter, sondern beweglicher. Und das ist fast schon revolutionär!
Mia Segal, eine Schülerin von Dr. Moshé Feldenkrais, soll einmal gesagt haben:
Tun dir die Knie weh, mach den Brustkorb beweglicher. Tun dir die Hüftgelenke weh, mach den Brustkorb beweglicher. Tut dir der Rücken weh, mach den Brustkorb beweglicher.
Aber was habe ich da, fast schon beiläufig, geschrieben? Beweglicher werden ohne zu dehnen? Geht das überhaupt? Ja, das geht sehr gut, wenn man weiß wie! Und wenn man weiß, was „beweglich” alles heißen kann. Beweglich sein ist nämlich etwas anderes als „ausgeleiert” zu sein.
Also, vielleicht doch noch ein paar Anmerkungen zum Thema Dehnen.
Wenn ich von „Dehnungsübungen” spreche, kommt mir – in Bezug zu dieser Lektion – ein altes Büchlein aus den 50er Jahren in den Sinn. Dort sind Folgende Dehnungsübungen aufgezeichnet:
Alles ein alter Hut?
Leider ganz und gar nicht. Heutzutage sind Dehnungsübungen wieder ganz groß in Mode. Es hat eine zeitlang so ausgesehen, also ob die Menschen zu einem Sinneswandel kommen würden, aber große Firmen der Gesundheitsbranche, wie z. B. Liebscher und Bracht, die Schmerztherapeuten, zeigen: auch heutzutage ist Dehnen „IN”, und man kann mit einfachen Dehnungsübungen sehr, sehr viel Geld verdienen.
Das alles erwähne ich nur zur Vorsicht, denn diese Lektion kann leicht dazu verführen sich zu dehnen, anstatt sich nur sanft zu bewegen. Auch aus diesem Grund ist FELDENKRAIS® eine „Lern- und Lehrmethode”: Wir lernen, uns auf scheinbar ganz neue, aber dennoch zutiefst uns Menschen eigentümlich Art zu bewegen.
Aber warum eigentlich nicht dehnen? Dazu würde ich gerne Dr. Moshé Feldenkrais zitieren, der das auf viele verschiedene Arten, immer und immer wieder gesagt hat. Ich denke er muss sich vorgekommen sein, als wie wenn er auf ein krankes Pferd einreden würde. Aber anstatt wütend zu werden, hat er eben auf immer neue Weisen, und in immer neuen Worten erklärt, warum er Dehnen nicht nur für unnötig, sondern auch für gefährlich erachtet.
Hier ein Zitat aus einem Transkript der Feldenkrais-Berufsausbildung in San Francisco aus dem Jahre 1976:
Wir versuchen nicht, den Kopf mit Gewalt zurückzuziehen … weil, schau, wenn ich den Kopf mit viel Kraft nach hinten zurückziehe, dann dehne ich deine Bänder. Es werden Faserrisse an Muskeln, Sehnen und Bändern auftreten, und dann wirst du den Kopf leicht zurücknehmen können… aber nur wenn die kleinen Einrisse verheilt sind. Aber wenn sie eben nicht verheilen, nie verheilen, dann werden sie so für den Rest deines Lebens gedehnt bleiben… und dein Körper wird schwächer sein… er wird nie besser werden… die Bänder sind dann zu lang und die Muskeln zu schwach… alles wird verkehrt sein, schlechter anstatt besser. Vergiss das mit dem Dehnen, dehne nicht, mach es einfach.
… wenn du darüber nachdenkst, dann wird dir auffallen, dass alles Zeit braucht, alles braucht Zeit. Wenn du etwas bauen möchtest, Stein für Stein, selbst das höchste Gebäude der Welt… es braucht Zeit. Es kann nicht anders sein, es braucht Zeit, um als Mensch zu wachsen… man bringt einem Kind Sachen bei… wartet und beobachtet… [..] und dann, das Kind, eine kleine Sache… es braucht nur eine kleine Bombe, eine Pistolenkugel, eine kleine Sache… eine Sekunde kann das Kind zerstören. Es ist die gleiche Sache: Dehne die Bänder… aber es braucht nur eine Sekunde… aber damit die Bänder richtig funktionieren, und die Muskeln, so dass du machen kannst, was du willst, das braucht Zeit…
– „Moshé Feldenkrais, Transkript San Francisco Evening Class 1976, Audio Vol 3, Lesson#3 Longer Spine”
Also, lass mich das nicht zu sehr in die Länge ziehen. Zurück zur Lektion.
Mittels einer gut durchdachten Bewegungsabfolge wird der Körper wieder beweglich. Und verkürzte bzw. verhärtete Muskeln werden eingeladen, wieder geschmeidig zu werden. Ganz wichtig dabei: bleibe im angenehmen Bereich, vermeide es dich zu dehnen, mach mehr Pausen als du für vernünftig hältst, und wiederhole die Lektion öfters mal.
Die Audioaufnahme ist aus einer Einzelstunde vom 24.4.2014. Bitte öffne die entsprechende mp3 bzw. Audiodatei, um die Lektion anzuhören.
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Die Audioaufnahme ist die erste, die ich in der Feldenkrais Werkstatt gemacht habe, und eher zufällig entstanden. Weiters habe ich die Lektion auch zu einem Video verarbeitet – in englischer Sprache – aber man kann die Bewegungen ja trotzdem sehen. Vielleicht hilft das Neueinsteigern eine besser Vorstellung von FELDENKRAIS® zu bekommen? Aber Achtung, das Video zeigt die Bewegungen nur im Schnellvorlauf! Von dem her ist es mehr Kunst als Unterrichtsmaterial. Also hier das Video: